Viele Menschen nehmen nicht wahr, welche Auswirkungen emotionales Essen auf unsere Gesundheit hat. Die meisten geben einem Mangel an Willensstärke die Schuld daran, dass 95 Prozent aller Diäten scheitern. Egal ob Diäten gleich von Anfang an nicht klappen oder man das Gewicht kurz nach Beendigung der Diät wieder zunimmt – die fehlende Willensstärke ist immer die Schuldige. Dabei übersehen viele, dass emotionales Essen das echte Problem ist. Abgesehen davon, dass es eine wichtige Rolle bei Übergewicht spielt, ist es auch Ursache für Störungen wie Anorexie, Bulimie und Depression. Als Reaktion auf emotionalen Stress greifen viele Menschen zu einem Übermaß an süßen, fettreichen Speisen oder verlieren ihren Appetit gänzlich. Das Gewicht nimmt ab und zu – und all das nur, um sich besser zu fühlen – wenn auch nur für einen Moment. Was eine Änderung dieses Essverhaltens so schwierig macht, ist seine komplexe Verbindung mit der Physiologie.
1. Essen aufgrund von Langeweile
Langeweile ist eine Emotion und nicht ein Signal des Körpers, dass er Nährstoffe und Energie braucht. Dennoch greifen täglich überall Menschen nach Essen, um sich abzulenken. Unser beschleunigter Lebenswandel motiviert und lobt diejenigen, die permanent beschäftigt, aktiv oder produktiv sind.
Inaktivität im Gegenzug wird als faul und unproduktiv missachtet. Das gesellschaftliche Stigma wird so sehr internalisiert, dass Menschen unbewusst versuchen die Leere, die durch Langeweile entsteht, zu füllen. Essen – besonders zucker- und kohlenhydratreiche Snacks – bietet dafür einen unmittelbaren „Fix“ und Energierausch.
2. Essen in Gesellschaft
Um zu überleben, müssen wir täglich essen. Vom Tag unserer Geburt an, ist Essen meist eine gemeinsame Aktivität. Es steht für Komfort, Liebe, Akzeptanz und Sicherheit – allesamt Elemente, die essenziell für unser Überleben sind. Forschungen haben gezeigt, dass unser Bedürfnis nach menschlichem Kontakt so groß ist, dass Personen, die isoliert sind und einen Mangel an grundlegenden menschlichen Interaktionen haben, ein höheres Risiko haben, frühzeitig zu sterben – unabhängig von irgendwelchen Gesundheitsproblemen.
Das erklärt, warum so viele Menschen ein Problem damit haben Essen abzulehnen, wenn es ihnen in Gesellschaft angeboten wird. Wenn der engste Bekanntenkreis zumeist fett- und kalorienreiche Lebensmittel zu sich nimmt, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Sie es auch tun. Menschen wollen sozial akzeptiert sein und essen daher, was ihnen angeboten wird.
3. Komfort-Lebensmittel
Viele von uns haben bereits im Kindesalter eine Beziehung mit „Komfort“-Lebensmitteln aufgebaut. Kleinkindern fällt es oft schwer auf das Fläschchen zu verzichten, das sie mit der Liebe und Geborgenheit des Stillens verbinden. In der Kindheit können Familienfeiern wie an Weihnachten warme Erinnerungen erzeugen, bei denen auch das Andenken an Lieblingsspeisen und –desserts nicht zu kurz kommt.
Komfort-Lebensmittel neigen dazu viel Fett, Kohlenhydrate, Zucker und Kalorien zu enthalten, die mit der Zeit Nostalgie und „komfortable“ Assoziationen mit schönen Erinnerungen wecken. Diese Art von Speisen sindkulturell verschieden und gelten für jeden Menschen individuell – von Omas Apfelkuchen bis hin zu Haagen-Dazs-Eisbechern. Wir alle haben Lieblingsspeisen, die angenehme Erinnerungen zurückbringen.
4. Essen gegen Stress
Während stressiger Ereignisse schüttet unser Körper automatisch Adrenalin aus. Das erhöht Atem- und Herzfrequenz und versorgt unsere Muskeln mit mehr Blut, das dem Hirn nun fehlt. Dies resultiert in einer verringerten Urteilsfähigkeit und verwandelt den Körper mehr oder weniger in eine Überlebensmaschine. Denken steht dabei nicht auf dem Programm, sondern nur Kampf oder Flucht.
Dabei greift man gerne zu zuckerreichen, fetten Lebensmitteln, da diese schnell verdaut sind und den Blutzucker in die Höhe treiben, was einen sich kraftvoller und aufmerksamer fühlen lässt. Unsere modernen Stressmomente schließen jedoch den Kampf mit Säbelzahntigern aus und beschränken sich hauptsächlich auf Beziehungen, Finanzen, Wohnen, Beruf, etc. Ohne körperliche Aktivität haben wir nach Essen aufgrund von Stress daher lediglich mehr Kalorien im Körper, was zu mehr Pfunden auf der Waage und…. noch mehr Stress sorgt.
5. Essen, um sich geliebt zu fühlen
Durch Essen kann man sich gut fühlen. Zucker, Salz und Fett können, ähnlich wie Heroin, opiumartige Substanzen im Gehirn freisetzen. Mediziner entdeckten, dass Patienten, denen man Schokolade in den Mund legte, eine Erweiterung der Pupillen aufwiesen, da die Retina das Glückshormon Dopamin freigab.
Das Gleiche geschieht bei Menschen, die voller Lust oder Liebe sind. Schokolade stimuliert die Produktion von Serotonin, einem weiteren Wohlfühl-Neurotransmitter und beschleunigt wie bei Verliebten die Herzfrequenz. Das liegt daran, dass Schokolade die Chemikalie Theobromin enthält, die vom Körper schnell aufgenommen wird und wie Koffein das Nervensystem stimuliert. Ein weiteres Stimulans in Schokolade ist Phenylethylamin (PEA), ein chemischer Stoff, der ebenso in erhöhtem Maße bei Menschen vorkommt, die verliebt sind.
6. Essen gegen Depression
Depressive essen aus allen bereits schon genannten Gründen. Außerdem leiden sie manchmal an kognitiven Störungen. Anders gesagt, sie denken nicht klar und das wirkt sich auch auf die Wahl ihrer Lebensmittel aus. Motivation und Selbstwertgefühl können niedrig sein, was das Risiko erhöht, nach kalorienreichen Speisen zur Stimmungshebung zu greifen.
Obwohl dies kurzfristig für mehr Wohlgefühl sorgt, führt es ganz schnell zu Gewichtszunahme. Menschen mit Depressionen haben unter Umständen auch nicht die Energie, um gesund einzukaufen oder sich gesunde Speisen zuzubereiten und greifen daher zu Fast-Food und anderen Dickmachern.
7. Unterernährung aufgrund von Depressionen
Manchmal neigen depressive Personen zum genauen Gegenteil der Fresssucht und reduzieren die Kalorienaufnahme drastisch oder sogar vollständig. Ein Gewichtsverlust von mehr als fünf Prozent des Körpergewichts in einem Monat kann Symptom einer Depression sein.
Depressionen und Appetitwandel hängen zusammen, da beide in dem Teil des Gehirns entstehen, das das limbische System genannt wird. Das limbische System kontrolliert nicht nur den Appetit, sondern ist auch für Emotionen zuständig. Zusätzlich können Antidepressiva auf das Verlangen nach Essen einwirken, was zu Gewichtszunahme oder – verlust führen kann.
8. Essgelage
Manche Menschen mit emotionalem Stress essen innerhalb kurzer Zeit große Mengen, um sich besser zu fühlen. Dabei können ganze Tüten und Packungen an Keksen, Eiscreme und anderen Süßigkeiten verzehrt werden. Normalerweise wird dabei so lange gegessen, bis der Magen schmerzt. Normales Sattsein wird ignoriert. Diese Verhaltensweise kann sich zur Essstörung Bulimie weiterentwickeln, bei der Menschen nach einem solchen Essgelage exzessiv Sport treiben oder sich übergeben, um nicht zuzunehmen.
Aus physiologischer Sicht treibt massives Essen den Blutzuckerlevel weit über den normalen Spiegel hinaus, was Serotonin freisetzt und temporär für ein Stimmungshoch sorgt. Darauf folgt allerdings ein Absturz des Blutzuckers weit unterhalb der Norm, was einen müde und depressiv zurücklässt. Und dann beginnt das Ganze von vorne …
9. Anorexie
Anorexia nervosa ist eine komplexe Essstörung, die eng mit emotionalen Problemen verknüpft ist. Dabei hungert man sich auf bis zu 15 Prozent unterhalb des gesunden Körpergewichts herab. Die Angst zuzunehmen wird zu einer Obsession mit Lebensmitteln und Gewicht, die lebensgefährlich sein kann. Die Störung betrifft hauptsächlich junge Frauen, kann aber auch bei Männern und älteren Frauen vorkommen. Anorexie oder Magersucht schließt ab und zu Episoden von Bulimie und Hungern mit ein.
Wenn der Körper nicht mit ausreichen Nährstoffen versorgt wird, dann verbrennt er die Energie, die sich in Fettzellen befindet. Ist diese erst mal erschöpft, folgt das Muskelgewebe. Dabei wird Eiweiß freigesetzt, das ins Gehirn gelangt und dort zu kognitiven Verzerrungen führt, die ein unrealistisches Körperbild fordern und einem sich selbst als übergewichtig präsentieren, obwohl genau das Gegenteil der Fall ist.
10. Verlangen
Untersuchen haben herausgefunden, dass 98 Prozent der Frauen und 70 Prozent der Männer gelegentlich ein starkes Verlangen nach Essen empfinden. Dieses Verlangen kann vor allem in Stress- und Angstsituationen auftreten. Studien ergaben, dass die Hirnregionen Hippokampus, Inselrinde und Nucleus caudatus während Verlangen nach Essen stimuliert werden. Die Forscher waren überrascht, dass das Erinnerungszentrum des Gehirns hierbei relevanter ist, als das Belohnungszentrum.
Untersuchungen an Ratten haben gezeigt, dass diese bei Stress fett- und zuckerreiche Nahrung bevorzugen, wodurch ihr Gehirn weniger Stresshormone und mehr Serotonin ausschüttet, was bei der Beruhigung hilft. Verlangen nach Essen hat bei Menschen normalerweise einen emotionalen Auslöser. Die Lebensmittel, nach denen man sich am meisten sehnt, sind reich an Fett und Zucker – wie z.B. Kartoffelchips, Pommes frites, Schokolade, Eiscreme und Kekse. Die gute Nachricht ist, dass das Verlangen nach Essen und alle Arten emotionalen Essens kontrolliert werden können. Bewusstsein und Bildung sind dabei der erste Schritt.